Freitag, 26. Dezember 2014

Antwort an die Äbtissin

Miguel Auristos Blanco, Schriftsteller aus Brasilien, schreibt über Gelassenheit und wie diese einen positiven Einfluss auf alles haben soll. Er ist damit sehr erfolgreich. Seine Leser und Leserinnen, fromme, hoffnungsvolle, gesegnete Leute, verehren ihn. Und obwohl er nicht überzeugt ist, von dem was er schreibt, setzt er fort, um diese nicht zu enttäuschen. Als er in einem Leserbrief eine kritische Frage erhält und zu seinem Erstaunen ehrlich und nicht durch die Blume antwortet, verspürt er den Wunsch sein Leben zu beenden.

Die meisten von uns kennen es, die beste Freundin oder der beste Freund verhält sich in einer Gruppe anders, als in kleiner Gesellschaft. Vielleicht hast du auch schon etwas getan, weil du dich von jemandem herausgefordert oder von der Gesellschaft dazu gezwungen gefühlt hast. Du merkst es selber aber nicht, da du von etwas geblendet wirst. Und so triffst du einen überzeugten Nichtraucher aus deiner alten Klasse, wenige Jahre später im Raucher-Abteil einer Bar, wo er eine Zigarette an der anderen verglimmen lässt. Wegen seinem Freundeskreis?
Eine solche Situation sehe ich auch in Miguels Leben. Mit seinen Büchern über Gelassenheit und seinen Empfehlungen schreibt er genau das, was seine Leser hören wollen. Er passt sich ihren Interessen an, damit seine Beliebtheit anhält. Eigentlich hat er sich damit schon von Anfang an etwas vorgemacht. Bereits mit seinem ersten Werk muss er sich damit in etwas hineingeritten haben. Seine Anhänger mochten, was und wie er schrieb und um seine Leser nicht zu verlieren, musste er dieser Ansicht treu bleiben. Mit seiner Antwort an die Äbtissin, die einzige Nachricht, bei der man der Wahrheit ins Gesicht schauen muss, würden bestimmt seine Leser enttäuscht sein darüber, dass alles, was sie bisher von ihm gelesen hatten, nur Schein war. Damit hätte er seinen Lesern die Hoffnung genommen, die er ihnen bisher vermittelt hatte. Mit dem Absenden seines Antwortbriefes, wo er die Existenz von Gott verleugnet, versetze er den Gläubigen einen Schlag. Er würde sich umbringen, noch bevor man ihn zur Rede stellen könnte damit würde er Epoche machen und noch mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Ob ihn diesen Gedanken auch wirklich anspricht, ist mir nicht klar. „Seine Mundwinkel zuckten, lachend zugleich und in Panik. Was er da geschrieben hatte, war nicht einmal seine Meinung. Es war bloss wahr“ (Kehlmann, 2009, S.130, Zeilen 19-21). Wieso schreibt er dann so etwas? Möchte er selber der Wahrheit ins Gesicht schauen? Braucht er einen Grund mit dem Zurücklassen dieser Nachricht Suizid zu begehen? Ist es ihm tatsächlich Wert, von diesem Leben Abschied zu nehmen, für mehr Rummel um ihn in den Medien, obwohl er das alles nicht mehr miterleben könnte? Was man nicht alles macht!
Bestimmt ist dir aufgefallen, dass ich heute einiges weniger geschrieben habe, als du es von mir gewohnt bist. Nein, das hat keinen Zusammenhang damit, dass ich zu faul wäre mich während der Weihnachtszeit mit dem Buch auseinanderzusetzen. Was aber zu einem Problem wurde, waren die vielen Fragen, die ich bei diesem Kapitel unbeantwortet lassen muss. Mit jedem Kapitel fand ich es anspruchsvoller zu verstehen, warum der Autor gewisse Dinge erwähnt hat. Klar können einige Phrasen der Ausschmückung und Einbettung der Geschichte dienen, doch vieles muss irgendeinen Sinn haben oder mindestens in einer späteren Geschichte über irgendein Verhältnis aufklären. Zu diesem Zeitpunkt fällt es mir noch schwer. Warum sind vier Briefe erwähnt worden, wenn doch der eine, der von der Äbtissin, gereicht hätte? Und wieso wird erwähnt, dass er Probleme mit der Prostata hat? Was soll das?
Für mich waren die vorigen Kapitel noch verständlicher und hatten viel besser ersichtliche Zusammenhänge gehabt. Das letzte und dieses aber kaum. Ich denke diese kommen zum Ende hin wieder mehr zum Vorschein. Es ist, wie wenn man die ersten Kapitel versucht mit der allerersten Geschichte zu verknüpfen. Und plötzlich ist man verloren, da das Gewohnte nicht mehr funktioniert.

4 Kommentare:

  1. Wer beim Lesen ganz genau aufgepasst hat weiss, dass Miguel Auristos Blancos bzw. seine Bücher in fast allen Kurzgeschichten (unterschwellig) vorkommt. Er scheint omnipräsent zu sein, was auf seine Popularität und seinen grossen Einfluss auf seine Leser schliessen lässt. Doch diese übergeordnete Macht, die von ihm ausgeht ist, wie du selbst schreibst, nur Schein. Ich glaube, dass ihm dies selbst erst beim Beantworten des Briefes der Äbtissin bewusst wird und seine (optimistische Sicht der) Welt in jenem Moment zusammenbricht. Längst hat er selbst geglaubt, was er in seinen Büchern propagiert. Doch er muss erkennen, dass nicht mal in seinem Leben alles so rund läuft, wie man annehmen müsste. Deshalb werden wohl auch seine Krankheit und die familiären Probleme erwähnt.
    Hilft dir das etwas weiter?

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    1. Vielen Dank, Frau Brülhart, so habe ich mir das noch nie überlegt. Nun macht es aber auch für mich endlich Sinn. :)

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  2. Zum eventuellen Selbstmord denke ich, gibt es 3 Gründe, zum einen wegen des Ruhms, dann aufgrund seiner Identitätskriese die er erlebt während er die Antwort verfasst und als dritten Grund würde ich benannten Prostata Krebs zählen. Ich habe den Text so verstanden daß er diese OP nicht durchführen möchte, diese aber notwendig ist.

    Ich denke das er die Bücher schreibt um sich selbst etwas vor zu machen, zb als er erwähnt das er schon ein Jahr keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern hat, rechtfertigt er sich sogar in dem er diesem Thema ein ganzes Kapitel witmet.
    Ich denke er belügt sich dauerhaft selbst, ist dem ganzen aber im unterbewusst klar. Da seine 'Lügen' so populär werden, erscheint dies als die tatsächlichen Wirklichkeit.

    Die weiteren Briefe verdeutlichen meiner Meinung nach das seine Thesen kein festes Fundament haben. Er möchte nicht in einen Dialog geraten, deshalb lehnt er jegliche Einladungen zu Vorträgen ab. Das seine Literatur keiner Überzeugung entspricht, wird auch durch seine Reaktion auf den Brief der Äbtissin deutlich.

    Liebe Grüße

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  3. Hallo Hanner!
    Danke für deinen Kommentar. Wenn da tatsächlich so viele Parallelen zwischen den Figuren und dem Autor bestehen, muss ich sagen genial konzipiert. Vor allem weil es manchmal verschleiert ist, manchmal fast offensichtlich und manchmal dem Lesenden nur verständlich wird, wenn dieser viel über das Privatleben des Autors weiss. Das scheint bei dir der Fall zu sein -wie kommt es?

    Weisst du auch, ob Daniel Kehlmann psychische Probleme hatte? Wenn er tatsächlich in jeder Geschichte mit einer Figur identifizierbar ist, könnte es zwar einfach nur ein harmloser Geniestreich sein, es wäre aber auch möglich, dass er Anzeichen von Schizophrenie oder einer anderen Identitätsstörung hat.

    Gruss

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